Kunst als Portal: Neue Genres für einen Planeten im Wandel
- Nicole Loeser
- 1. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Im Laufe der Geschichte haben Zeiten tiefgreifender Veränderungen Künstler:innen immer wieder zu kreativen und kritischen Reaktionen inspiriert. Heute, inmitten der Herausforderungen von Klimakrisen, sozialen Ungleichheiten und rasantem technologischem Wandel, tritt zeitgenössische Kunst erneut als entscheidendes Instrument für Transformation hervor. Progressive Künstler:innen überschreiten Grenzen von Disziplinen, aktivieren Gemeinschaften und hinterfragen bestehende Systeme. Dabei knüpfen sie an die Tradition vergangener avantgardistischer Bewegungen an. Durch interdisziplinäre Zusammenarbeit verbinden diese neuen Kunstformen verschiedene Gebiete wie u.a. Wissenschaft, Aktivismus, Philosophie, Politik und Technologie. Sie laden uns ein, alternative Zukünfte zu entwerfen, aber auch unsere Art zu leben, zu erschaffen und mit Natur und Technologie zu koexistieren, kritisch zu hinterfragen. Dieser Artikel stellt fünf innovative Kunstbewegungen vor, die uns dazu anregen können, die Rolle der Kunst für unser Denken und Empfinden neu zu reflektieren.
Social Art: Gemeinschaften gestalten, Geschichten verändern

Soziale Kunst reflektiert nicht nur gesellschaftliche Realitäten, sondern greift aktiv in sie ein. Sie entsteht unter anderem in Protesten, sozialen Projekten und öffentlichen Räumen. Oft wollen Künstler:innen damit soziale Gerechtigkeit fördern, marginalisierte Stimmen stärken oder zu gemeinschaftlichem Handeln anregen.
Beispiele dafür sind die Anataban-Kampagne im Südsudan (seit 2016), die mit Street-Art, Theater und Poesie junge Menschen ermutigt, Konflikte und Perspektivlosigkeit zu überwinden. ProppaNOW in Australien (seit 2003) setzt sich dafür ein, stereotype Darstellungen indigener Kunst zu hinterfragen und urbane indigene Identitäten sichtbar zu machen. Theaster Gates' Projekte in Chicago (seit 2009) verwandeln verlassene Gebäude in kulturelle Begegnungsstätten, die den sozialen Zusammenhalt stärken wollen. In Mexiko bringt das Kollektiv Culturans seit 2015 Künstler:innen mit lokalen Gemeinschaften zusammen und gestaltet städtische Räume um, damit sie Begegnungen ermöglichen.
Bio-Art: Lebendige Kunst, ethische Fragen

Bio-Art arbeitet mit Biotechnologie, Genetik und lebenden Organismen. Sie regt dazu an, die Grenzen von Leben und ethischer Verantwortung im Angesicht heutiger technologischer Möglichkeiten zu erkunden.
Eduardo Kacs „GFP Bunny“ (2000), ein genetisch modifizierter Hase, der unter UV-Licht leuchtet, löste weltweit Debatten über Gentechnik und ethische Grenzen aus. Oron Catts und Ionat Zurr erschufen mit „Victimless Leather“ (2004) Kleidung aus lebendem Gewebe und stellten damit kritische Fragen zu Nachhaltigkeit und Laborprodukten. Mit „Aquatocene“ (2016) macht Robertina Šebjanič Unterwasser-Lärmverschmutzung hörbar und beanstandet damit deren Auswirkungen auf marine Ökosysteme. Heather Dewey-Hagborg thematisiert in ihrer Arbeit „Stranger Visions“ (2012) genetische Privatsphäre sowie Datenschutz. Dabei nutzte sie DNA-Spuren aus gefundenen Alltagsgegenständen, um 3D-Porträts unbekannter Personen zu erstellen.
Web3 Art: Digitale Welten, neue Teilhabe

Web3 Art eröffnet neue Perspektiven bezogen auf das Verständnis von Eigentum und Urheberschaft. Mithilfe von Blockchain-Technologien und dezentralen Netzwerken kommunizieren Künstler:innen dabei direkt mit ihrem Publikum und hinterfragen traditionelle Machtstrukturen im Kunstmarkt.
Refik Anadol entwickelt seit 2016 KI-gestützte NFT-Kunstwerke, die aus großen Datensätzen immersive, digitale Welten erschaffen, welche öffentlich zugänglich sind und traditionelle Grenzen der Autorschaft verwischen. Pak erforscht mit Projekten wie „The Merge“ (2021) kollektive Autorenschaft und gemeinschaftliche Wertschöpfung im digitalen Raum. Diese sich ständig wandelnden Kunstwerke hinterfragen klassische Vorstellungen von Originalität und Wert im Kunstmarkt. Olive Allen (2022) nutzt NFT-Kunst, um gesellschaftliche Themen wie Identität und soziale Gerechtigkeit sichtbar zu machen und unterstützt konkrete Hilfsaktionen, etwa für Geflüchtete.
Web3 Art schafft somit neuartige soziale Gemeinschaften und ermöglicht innovative Formen digitaler und sozialer Teilhabe.
Eco-Art: Verbundenheit mit der Natur stärken

Eco-Art untersucht die Verbindung des Menschen mit der Natur. Im Fokus steht dabei der Ansatz, sich als Teil eines größeren ökologischen Systems zu verstehen. Kunst wird hier mit Wissenschaft und Aktivismus verbunden, um ökologische Zusammenhänge sichtbar zu machen.
Agnes Denes verwandelte bereits 1982 mit „Wheatfield – A Confrontation“ eine städtische Fläche in Manhattan in ein Weizenfeld, um auf Fragen der urbanen Nutzung und Nachhaltigkeit aufmerksam zu machen. Mit „Ice Watch“ (2014) platzierte Olafur Eliasson schmelzende Eisblöcke aus Grönland in Großstädten, um die realen Folgen des Klimawandels unmittelbar erfahrbar zu machen. Seit 2009 kreiert Marina DeBris tragbare Kunst aus Meeresmüll, womit die Problematik der Plastikverschmutzung sichtbar wird. Janet Laurence inszeniert seit 2005 Pflanzen und natürliche Materialien in raumgreifenden Installationen, um die Verletzlichkeit unserer Ökosysteme zu thematisieren und damit ein stärkeres Umweltbewusstsein zu fördern.
Speculative Art: Neue Welten denken

Mit Speculative Art werden Visionen möglicher zukünftiger Welten entwickelt. Dabei werden Wissenschaft, Technologie und Philosophie verknüpft, um gewohnte Vorstellungen zu hinterfragen und neue Perspektiven für wünschenswerte Zukünfte aufzuzeigen.
Tomás Saracenos Projekt „Aerocene“ (seit 2015) entwickelt solarbetriebene, emissionsfreie Flugobjekte und stellt Alternativen zur fossilbasierten Mobilität vor. Morehshin Allahyari rekonstruierte mit „Material Speculation: ISIS“ (2015) digital durch ISIS zerstörte Artefakte und schuf so ein digitales Archiv verlorenen kulturellen Erbes. Das Kollektiv Black Quantum Futurism (seit 2014) erforscht mithilfe von Performancekunst und Multimedia neue Konzepte von Zeit und zeigt Möglichkeiten auf, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft jenseits linearer Vorstellungen zu denken.
Gemeinsam Zukunft imaginieren
Diese Kunstformen wurden ursprünglich von einzelnen visionären Künstler:innen entwickelt. In unserer heutigen, sich rasant ändernden Zeit nehmen sie jedoch zunehmend eine wichtige Rolle ein und werden von zahlreichen Künstler:innen weltweit in die Praxis umgesetzt. Sie regen dazu an, gemeinsam neue, ethisch bewusste Zukunftsvorstellungen zu entwickeln. Mittels künstlerischer Interventionen lassen sich Gemeinschaften stärken, ethische Reflexion fördern, Machstrukturen aufbrechen und unsere Beziehung zur Natur vertiefen. Das Medium der Kunst lädt dazu ein, schöpferisch an einer nachhaltigen und gerechten Welt mitzuwirken.
Über die Autorin und interdisziplinäre Initiativen
Nicole Loeser ist eine weltweit tätige Kuratorin und Universitätsdozentin, die interdisziplinär an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft, Innovation und Regeneration arbeitet. Sie leitet das Institute for Art and Innovation (IFAI) in Berlin und ist Mitgründerin der Futuring Alliance, die Unternehmen und Organisationen hinsichtlich transformativer Innovation unterstützt. In ihrer Promotion beschäftigt sie sich mit der Rolle von sozialer Kunst für nachhaltige und ethische Transformation.
Der Social Art Award, gegründet 2017 vom Institute for Art and Innovation, verbindet Künstler:innen aus 147 Ländern. Die diesjährige Ausschreibung zum Thema „Planetary Healing – Blue Tribes for Ocean Health“ läuft bis zum 15. April auf www.social-art-award.org
Das Art for Futures Lab (AFFL) initiierte Nicole Loeser 2020 gemeinsam mit Prof. Böhm an der Filmuniversität Babelsberg. Es bringt Künstler:innen, Wissenschaftler:innen und die Zivilgesellschaft zusammen, um regenerative Zukünfte mithilfe künstlerischer Ansätze wie Storytelling, Speculative Art und partizipativem Worldbuilding zu gestalten. Aktuelle Projekte unterstützen die UN Ozeandekade und beschäftigen sich u.a. mit grünem Wasserstoff.
Weitere Infos unter www.artforfutureslab.com.
Websites: www.art-innovation.org | www.futuring-alliance.com LinkedIn: Nicole Loeser besten ausstellungen in wien 2025 basieren auf deinen interessinde must-see ausstellungen in wien 2025 mit der myCulture app